Ein Mitarbeiter des Tiefbauamts steht vor einer Auswahl an Strassenschildern Ein Mitarbeiter des Tiefbauamts steht vor einer Auswahl an Strassenschildern Ein Mitarbeiter des Tiefbauamts steht vor einer Auswahl an Strassenschildern

Mobilität unter Druck

Publiziert
November 2023
Themen
Fokus 02/2023 Fokus-Story

Damit Pakete ankommen, der Strassenverkehr fliesst, KMU ihre Güter erhalten und die Busse pünktlich sind, braucht es im Hintergrund enorme Anstrengungen. Ein Überblick, mit welchen Herausforderungen wir in puncto Mobilität konfrontiert sind und welche Chancen diese mit sich bringen.

 

Die Bevölkerung wächst – weltweit, in der Schweiz, und so auch im Kanton Schwyz. Kurz gesagt sind wir immer mehr Menschen, die je länger, je mobiler sein möchten. Unsere Bewegungen nehmen also nicht proportional zum Bevölkerungswachstum zu. Nein, sie steigen sogar noch stärker. Besonders für die Freizeit sind wir bereit, grössere Distanzen auf uns zu nehmen. Wir lassen uns aber auch gern die Welt ins Haus liefern: Neben Galaxus, Brack und Zalando finden sich längst Direktimporte aus China in unseren Briefkästen.

 

Stau ist in Schwyz angekommen

Obwohl der Anteil am öffentlichen Verkehr konstant zunimmt und auch das Velo – insbesondere in der motorisierten Form – als umweltfreundliches Verkehrsmittel attraktiver geworden ist, steigt also der Druck auf unsere Strassen. Die zahlreichen Baustellen, denen man beim Durchqueren des Kantons begegnet, zeugen davon. Und natürlich die zunehmenden Verstopfungen, vor allem der tägliche Stau auf und rund um den Seedamm. Werktags passieren bis zu 25 000 Autos dieses Nadelöhr, auch zwischen Freienbach und Pfäffikon bewegen sich mehr als 20 000 Fahrzeuge. Der Druck verschiebt sich zudem zusehends von Wollerau in die March nach Siebnen und Galgenen. In Innerschwyz zählen vor allem Küssnacht und Schwyz, stellenweise auch Einsiedeln–Biberbrugg zu den Hotspots.

Doch wie lässt sich der Verkehr regulieren, damit wir auch in zehn, zwanzig Jahren noch bequem von A nach B kommen? Eine komplexe Frage, mit der sich Fachleute, allen voran Kantonsingenieur Daniel Kassubek, intensiv beschäftigen. «Fünfzehn Jahre», so lange sei die Vorlaufzeit für gewisse komplexe Strassenbauprojekte. Er zückt einen Stapel Papier mit allen aktuellen Baustellen. Wenn das Team also heute zu planen beginnt, rechnet es die erfahrungsgemäss rund fünfzehn Prozent Verkehrswachstum bereits obendrauf. Die drängendsten Probleme versucht man mit Priorität anzugehen und natürlich Inner- und Ausserschwyz jeweils gleichberechtigt zu vertreten. Trotzdem dauert es in der Regel nicht lange, bis der Mehrverkehr die Verbesserung wieder «aufgefressen» hat.

Grösseres Personenaufkommen beim Busbahnhof in Schwyz

Der öffentliche Verkehr als Teil der Lösung: Die Auto AG Schwyz will den Gesamtverkehr reduzieren.

Parkplätze bestimmen mit

«Wir sind in den politischen Prozess eingebunden und müssen jeweils den Konsens mit allen betroffenen Grundeigentümern finden. Unternehmen oder Private bebauen ihr Land derweil deutlich schneller», sagt Daniel Kassubek. Nehmen wir das Beispiel Seewen Feld: Der Kanton hat kürzlich nach zahlreichen Hürden die Hauptstrasse verbreitert und einen Kreisel als Zubringer erstellt. Sind dereinst alle geplanten Wohnungen auf dem riesigen Bauareal realisiert, dürfte der Abschnitt zu Stosszeiten trotzdem an seine Grenzen kommen.

Daniel Kassubek plädiert deshalb vor allem bei den grossen Bauherren in den urbaneren Gebieten, den Gesamtverkehr durch die Anzahl Parkplätze zu regulieren. «Heute sind 1,5 Parkplätze pro Wohnung üblich. Gerade bei mit ÖV gut erschlossenem Wohnraum, beispielsweise neben einem grossen Bahnhof, könnte man diesen Durchschnitt gezielt auf die Hälfte senken.» Städtische Gebiete haben längst gezeigt, wie der ÖV zum Mittel der Wahl wird, sobald Parkplätze rar und Staus unberechenbar sind.

 

«Ein Bus ersetzt dreissig Autos» 

Damit würde der öffentliche Verkehr eine attraktive Alternative und effektiv ein Teil der Lösung der sich zuspitzenden Verkehrsprobleme. Wie diese aussehen könnte, zeigt André Diethelm, CEO der Auto AG Schwyz (AAGS), auf. Auch er legt Fakten auf den Tisch: «Ein voller Bus ersetzt mehr als dreissig Autos. Unsere Aufgabe ist es, den Gesamtverkehr zu reduzieren und somit auch zugunsten der verbleibenden Autofahrerinnen und -fahrer Platz auf der Strasse zu schaffen.» Damit entlasten die rund vierzig Busse, die für die AAGS von fünf Uhr in der Früh und an manchen Tagen bis zwei Uhr nachts den inneren Kantonsteil erschliessen, die Strassen. Für Diethelm ist klar: «Wir müssen ÖV und Individualverkehr nicht gegeneinander ausspielen, sondern stärker im grossen Ganzen denken.»

Minutengenau fahren die AAGS-Busse durch die dicht besiedelten Zentren und, in etwas grösseren Abständen, Richtung Muotathal, Morschach sowie Biberbrugg. André Diethelm stellt erfreut fest, dass grössere Arbeitgeber vermehrt ÖV-Abos subventionieren und ihre Mitarbeitenden, beispielsweise durch weniger oder teurere Parkplätze vor Ort, Richtung Zug und Bus lenken. Die AAGS spürt denn auch ein generelles Wachstum, das die Passagierzahlen vor Corona überschritten hat. Vor allem der Freizeitverkehr hat spürbar zugenommen. Das Tagesgeschäft in der heutigen Qualität aufrechtzuerhalten, ist die grösste Herausforderung der Auto AG Schwyz. Denn: Baustellen oder Störungen wirken sich direkt auf die Pünktlichkeit aus. Gerade in Gebieten mit einem Takt von einer halben Stunde oder einer Stunde ist es für die Mitreisenden ärgerlich, wenn sie einen Anschluss verpassen.

Güterverkehr um die Welt

Der Gesamtverkehr kennt noch eine dritte, gerade für KMU nicht minder bedeutende Dimension: Ähnlich wie die Busse im Personenverkehr, übernehmen Lastwagen die Kollektivfunktion für unsere Waren. Von Schindellegi aus zieht Kühne+Nagel die Fäden des globalen Transportwesens. Die Firma ist heute in der Schiffs- wie auch in der Luftfracht der grösste Spediteur der Welt. «Obwohl wir intern und auch gegenüber unserer Kundschaft hochmodern arbeiten, ist die Logistikbranche oft immer noch ein händisches Geschäft», erzählt Kommunikationschef Dominique Nadelhofer. Bemühungen, die Branche mittels Blockchain- Technologie zu digitalisieren, seien vor ein paar Jahren gescheitert. Warum? «Jeder Hafen funktioniert anders, und der persönliche Kontakt vor Ort ist nach wie vor unabdingbar.» Nadelhofer zeigt auf dem Bildschirm eine Weltkarte, die den gesamten Schiffsverkehr in Echtzeit abbildet. Dass achtzig Schiffe vor dem Hafen in Schanghai aufs Abladen warten, ist genauso üblich wie die unsteten Lieferzeiten nach Europa, die mal 25, mal 40 Tage dauern. Auf dem Onlinefahrplan sehen die Kunden direkt, welche Verbindung den kleinsten ökologischen Fussabdruck hat und wie viel Verspätung eine Strecke üblicherweise mit sich bringt. Selber besitzt das Unternehmen keine Schiffe und kann sich so vollständig auf die Organisation der Transporte konzentrieren.

Die Schwyzer Firma bietet mittlerweile Gesamtlösungen für alle möglichen Kundenbedürfnisse an. Ein wichtiges Standbein ist die sogenannte Kontraktlogistik. Unter diesem Namen übernimmt Kühne+Nagel die Lagerhaltung und die Distribution für Firmen, beispielsweise den Onlinehandel namhafter Modemarken. Im Eingangsbereich zeigt ein Modell ein Projekt in Norditalien. Von hier aus werden dereinst für adidas 18 000 Pakete pro Stunde versandt. «Das Einzige, wo wir meist nicht aktiv sind, sind die letzten Meter bis zur Haustür», fasst Dominique Nadelhofer zusammen. Die Pakete bringen die Post oder andere private Dienstleister zur Endkundschaft.

Luftaufnahme eines Frachtschiffs im Hafen, umgeben von Kränen

Fast niemand kennt den Frachtverkehr so gut wie Kühne+Nagel. Das Unternehmen hat die grossen Transportrouten stets im Blick. (Bild: Kühne+Nagel)

 

Schwyz investiert viel in die Infrastruktur

Somit wären wir zurück in der Region. Um den Verkehr möglichst fliessen zu lassen, sieht die Gesamtverkehrsstrategie bis 2040 diverse Massnahmen vor. Unter anderem soll der Langsamverkehr Hand in Hand mit den übrigen Transportwegen funktionieren. Von den Autobahnen über die Kantons- und Gemeindestrassen möchte man bis hinunter zu Velo- und Fusswegen ein dichtes Netz für die Mobilität spinnen. Wer mit dem Auto auf der Strasse bleibt, soll möglichst schnell auf eine Autobahn ausweichen können. Innerschwyz ist hier mit Seewen, Brunnen und Goldau bereits gut unterwegs, in Wangen und Freienbach sind neue Zubringer in Planung. Durch die Dörfer fährt idealerweise nur noch der ganz regionale Verkehr. Um diese Vernetzung zu erreichen und notorische Verkehrsknoten zu lösen, öffnet der Kanton Schwyz sein Portemonnaie weit. Rund 30 Millionen Franken lässt er sich die Strassen zurzeit pro Jahr kosten. Zwischen 2025 und 2027 werden es aufgrund von Grossprojekten sogar durchschnittlich etwa 75 Millionen Franken sein. Der ÖV ist stabiler mit jährlichen Ausgaben zwischen 40 und 60 Millionen Franken. Insgesamt gehört Schwyz zu jenen Kantonen, die am meisten in den Verkehr investieren. Für die Autofahrerinnen, die Velo-, Bus- und Zugfahrer sowie die Spediteure von nah und fern.

 

Fortschritt im Busverkehr

Die Auto AG Schwyz betreibt bereits drei elektrische Batteriebusse und hat mit dieser Technologie gute Erfahrungen gemacht. Aktuell stellt sich für die Geschäftsführung die Frage, ob und wie man die gesamte Flotte und damit auch die Gelenkbusse, die pro Tag bis zu 500 Kilometer zurücklegen, durch weitgehend emissionsfreie Fahrzeuge ersetzen kann. Knapp zwanzig solche Gelenkbusse müssen zum Beispiel 2030 ersetzt werden. Alternativen zu E-Bussen wären E-Fuel (synthetischer Treibstoff), Wasserstoff oder nach wie vor Diesel. Was viele nicht wissen: Die Zollbefreiung für Diesel fällt erst mit den neuen CO² -Gesetzen weg – bis anhin war der umweltschädlichste Treibstoff subventioniert.

Politik bestimmt mit

Dieser Entscheid bezüglich der zukünftigen Antriebstechnologie in den Schwyzer Bussen kann jedoch nicht allein durch die Auto AG Schwyz gefällt beziehungsweise umgesetzt werden. Es braucht dazu neben vielen technischen Abklärungen auch finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand. Der politische Prozess dazu hat mittlerweile begonnen.

Doch es sind nicht nur die Antriebstechnologien, die bei der Auto AG Schwyz derzeit für Diskussionsstoff sorgen. Auch die Frage, ob ein Ticketverkauf im Bus nach wie vor nötig ist und wenn ja, ob dieser mit Bargeld bezahlt werden können soll, treibt die Unternehmensführung um. Das ist weniger eine Frage der Technologie als der Akzeptanz bei den Kundinnen und Kunden.